Das neueröffnete „Richwater & Mitchell“ steht ganz oben auf meiner persönlichen „To-try-List“ und könnte sich als Juwel unter den Neuzugängen der Berliner Gastroszene entpuppen. Im unscheinbaren Moabit wird hier seit Kurzem „New London Cuisine“ aufgetischt. Wenn ich an traditionelle britische Küche denke, verkrampft sich mein Magen. Sie genießt einen schlechten Ruf – zu deftig, zu fettig, zu langweilig. Fish & Chips, Lamm mit Minzsauce, Baked beans, Pies und Pasties – Verdauungsbeschwerden inklusive. Umso mehr bin ich auf eine moderne Auslegung gespannt und mache mich auf den Weg in einen Stadtteil, der bislang von der hippen Foodszene ignoriert wurde.

Bereits beim Eintritt in das Restaurant tauche ich ab in eine andere Welt. Die Atmosphäre ist eindrucksvoll – düster-rustikal und elegant-majestätisch zugleich. Very british, wie ich finde. Die Wände in dunklem grau-grün und Backsteinoptik, golden-kitschige Leuchtstrahler, die schummriges Licht an die Decke projizieren, knallrote, schwere Vorhänge an den Fenstern, weiße Tischdecken und geschmackvolles Geschirr auf urigen Tischen. Bin ich hier etwa bei Harry Potter?

Nein, ich bin zu Gast bei Anton Michel, einem jungen Berliner Koch mit britischen Wurzeln, der zuvor mit dem Pop-Up-Restaurant „Anton kocht“ für Aufmerksamkeit gesorgt hat und sich nun mit „Richwater & Mitchell“ niederlässt. Gelernt hat er sein Handwerk bei den Gourmetköchen Marco Rutz und Kolja Kleeberg. Exzellente Produktqualität und eine ausgefallene, teilweise rare Getränkekarte spiegeln die erstklassige Ausbildung und den hohen Anspruch wieder.

Zum ersten Mal trinke ich einen seltenen und daher begehrten Schaumwein aus Südengland. Dank der Klimaerwärmung darf sich auch Großbritannien über wachsende Reben freuen, die, wie ich im Nachhinein erfahre, hoch im Kurs stehen. Überraschend gut ist zudem der empfohlene rote Riesling, diesmal vom Festland. Auch die Bierauswahl ist erwähnenswert.

Das selbstgebackene englische Sauerteigbrot ist trotz dicker Kruste innen wunderbar saftig. Ausgefallen sind die im Tempuramantel ausgebackenen Salbeiblätter, deftig die frittierten Schweineschwarte-Chips mit Chili-Limetten Mayo. Während die schmackhafte Taube mit Pilzen einen geschickten Umgang mit Messer und Gabel erfordert, hauen mich die Kalbsbäckchen auf Spitzkohl nicht vom Hocker. Meine Favoriten des Abends sind zweifelsohne das „Scotch Egg“, zwei Eihälften mit wachsweichem Kern und einem knusprig-gebackenen Hackmantel, sowie der zarte Knurrhahn. Dabei handelt es sich keineswegs um ein knurrendes Geflügel, sondern um eine weniger bekannte Fischart, die der Koch kross gegrillt auf eine indisch gewürzte Tomatensauce und luftigen Reis bettet. Ich probiere auch die dreifach gegarten Pommes mit Sauce Tartare. Dabei mag ich keine Pommes. Diese sind außergewöhnlich köstlich, viel besser als die belgischen, die ich während meiner Aufenthalte in Brüssel gegessen habe. Nur schade, dass keiner von uns die geschmorte Lammhaxe bestellt, die an dem Abend öfters die Küche verlässt. Sie sieht unwiderstehlich aus – und wird glücklicherweise ohne Minzsauce serviert.

Die Preise im „Richwater & Mitchell“ sind moderat, das Publikum daher gemischt – jung und alt, schick oder leger gekleidet. Der Service ist aufmerksam, flink und in dem Ambiente unerwartet lässig. Mir gefällt es hier und wiederkommen werde ich – schon wegen der Lammhaxe.